Am 21. Juli 2020 beginnt in Magdeburg der Prozess gegen den Attentäter des rechten Terroranschlags in Halle am 9. Oktober 2019. Bei dem Anschlag wurden Jana Lange und Kevin Schwarze ermordet, weitere 68 Menschen entkamen dem Täter nur knapp. In voraussichtlich 18 Prozesstagen soll die Anklage des Generalbundesanwalts verhandelt werden. Zusätzlich sind 40 Nebenkläger*innen zur Verhandlung zugelassen.
Immer wieder wird der Täter aufgrund fehlender Mittäter*innen und seiner Radikalisierung im Internet als Einzeltäter beschrieben. Die antisemitischen und rassistischen Resonanzräume in Online-Communities und der deutschen Gesellschaft, die seine Radikalisierung erst ermöglicht haben, werden dabei ausgeblendet. Doch es handelt sich weder um einen vereinzelten Täter, noch um einen Einzelfall! Der Mord an Walter Lübcke, der Anschlag in Hanau oder der NSU sind Vielen in Erinnerung. Doch die Mehrzahl der 208 Todesopfer rechter Gewalt seit 1990 und unzählige Anschläge werden verdrängt. Wer kennt das Oktoberfestattentat, den Mord an Shlomo Levin und Frida Poeschke, die Sprengstoffanschläge auf jüdische Friedhöfe in Berlin, die Anschläge von Düsseldorf Wehrhahn oder Hamburg-Veddel oder die unzähligen (Brand-)Anschläge auf Häuser und Restaurants von Migrant*innen und Geflüchtetenunterkünfte? Rechte Gewalt ist für viele Betroffene eine beinahe tägliche Erfahrung. Dabei werden sie von Polizei, Medien und politisch Verantwortlichen häufig alleingelassen oder selbst zu Verdächtigen gemacht.
Um rechten Terror ernsthaft zu bekämpfen, müssen wir einerseits die rassistischen und antisemitischen Zusammenhänge zwischen den Taten anerkennen, vor allem aber auch die Erfahrungen und Forderungen der Betroffenen ernst nehmen. Wir dürfen uns mit der Forderung nach Aufklärung nicht auf einen Gerichtsprozess verlassen, der von Anfang an den Täter in den Fokus nimmt. Erst vor kurzem zeigte die Urteilsbegründung im NSU-Prozess, dass die Erwartungen der Angehörigen an eine juristische Aufklärung bitter enttäuscht und die Erzählungen von Einzeltäter*innen, bzw. einem Trio fortgeführt werden. Stattdessen fordern wir „Solidarität mit den Betroffenen – keine Bühne dem Täter!“ Wir werden die Perspektive und die Forderungen der Nebenkläger*innen und anderer Betroffenen zum Mittelpunkt machen und thematisieren wie Solidarität im Verlauf des Prozesses und darüber hinaus gestaltet werden kann.
Dazu müssen wir uns fragen: Was ist unsere Antwort als Gesellschaft, wenn die Polizei versagt Synagogen und das Leben von Jüdinnen und Juden zu schützen? Wie stehen wir den Betreibern des Kiez-Döners zur Seite wenn die Bundes-, Landes- und Stadtpolitik die zugesagte Unterstützung verwehren? Wie können wir selbst rechter Radikalisierung auf der Straße und im Netz entgegenwirken? Diese Fragen werden nicht in diesem Prozess verhandelt, sondern müssen praktisch und solidarisch von uns beantwortet werden.
Mit dem bevorstehenden Urteil hoffen viele Stadt- und Landespolitiker*innen einen „Schlussstrich“ unter den Anschlag ziehen zu können und trotz täglicher rechtsextremer Vorfälle ein buntes und tolerantes Halle und Sachsen-Anhalt zu behaupten. Doch für die Betroffenen geht die Verarbeitung des Anschlags über die juristische Dimension hinaus. Wir wollen deshalb schon zum Prozessbeginn klarmachen, dass es keinen Abschluss mit dem Anschlag geben kann!
Kommt am 21. Juli 2020 ab 8:00 Uhr bis nach Ende des Prozesstages zum Landgericht Magdeburg.
In Solidarität mit den Nebenkläger*innen und anderen Betroffenen.
In Gedenken an Jana Lange und Kevin Schwarze
Initiative 9. Oktober Halle
Regina – Ravende Europäer gegen Intoleranz und Nationalismus